Was Mimik und Gestik verraten – Dr. Roman Braun Rhetorik-Experte analysiert das Agieren
der Spitzenpolitiker im Wahlkampf. Von HERMANN FRÖSCHL
Roman Braun ist ein Spezialist für Rhetorik und Kommunikation. Der Psychologe berät seit 30 Jahren Manager, Politiker und Spitzensportler. Aktuell ist er auch Rhetorik-Coach der österreichischen Olympioniken. Im SN-Interview spricht er darüber, wie sich die Politspitzen im Wahlkampf präsentieren und was dahinter steckt.
SN: Herr Braun, was ist aus Ihrer Sicht das markanteste Ereignis dieses Wahlkampfs? Zweifellos Dominik Wlazny alias Marco Pogo von der Bierpartei. Es schaut ganz so aus, als würde es erstmals eine Partei ins Parlament schaffen, die keinerlei Sachleistung oder politische Konzepte vorweisen kann, sondern einzig auf PR und Kommunikation setzt. Da tritt ein mittelmäßig begabter Musiker auf die politische Bühne, ohne eine politische Botschaft zu haben.
SN: Man kann heutzutage also politisch reüssieren, ohne Politik zu machen?
Ja, und das erschüttert die politische Szene. Man spürt, wie verunsichert die etablierten Parteien sind. Die verstehen sich ja noch immer als politischer Dienstleister, was beinhaltet, dass man auch politische Konzepte und Inhalte vorlegen muss. Tatsächlich erleben wir einen Ruck zum Turbo-Populismus, und das ist kein gutes Zeichen. Man kannte Populismus von rechts, jetzt kommt er auch von links. Diesen Trend gibt es in anderen Ländern schon länger, etwa Frankreich und Deutschland, doch in Österreich ist das relativ neu. Der erste war Frank Stronach, als er seine Partei gründete. Da stand neben seinem Konterfei nur der Slogan ,Jetzt Frank!’ auf den Plakaten. Ein deutscher Kollege meinte damals verduzt: ,Das reicht bei euch?’
SN: Aber Inhaltsleeremuss nicht automatisch bedeuten, populistisch zu sein.
Populismus bedeutet, dass man den Wahlvolk aufs Maul schaut und deren Haltungen quasi per Lautsprecher zurück ins Volk spielt. Genau das macht auch Thomas Wlazny. Spannend ist seine Körperhaltung und Mimik. Er tritt immer im schwarzen T-Shirt auf und grinst wie ein aufmüpfiger Teenager, so als würde er sich der Sache selbst nicht ganz sicher sein. Dabei hat er den Kopf oft leicht gesenkt und blickt nach oben. Das ist eine typisch unterordnende Gestik, die man sonst in der Beziehung von Kindern zu Eltern findet. Wlazny spiegelt die Erfahrungen seiner vornehmlichen jungen Zielgruppe perfekt wider. Er sagt ihnen: Ich bin einer von euch. Und wir sollten zusammenhalten und dem System eine Retourkutsche verpassen. Dazu kommen Forderungen wie Eignungstests für Minister, mit denen er seine Botschaft unterstreicht: Jetzt drehen wir den Spieß um. Jetzt sollen die, die uns sonst immer Rechenschaft abverlangen, zeigen, ob sie selbst kompetent sind. Bezogen auf seine junge Zielgruppe ist das sehr geschickt. Denn eine Faustregel der PR lautet: Wer es allen recht machen will, bietet letztlich allen zu wenig. Es gilt in diesem Wahlkampf mehr denn je, seine Zielgruppe direkt anzusprechen.
SN: Wlazny tritt bei Veranstaltungen auf, setzt voll auf Social Media, meidet aber TV-Interviews. Warum?
Er sagte sogar schon TV-Auftritte ab. Wohl deshalb, weil er dort seine Stärke nicht ausspielen kann. Im Sommergespräch bei Puls4 war er schlecht drauf, wirkte nicht lebendig, hatte die Finger verschränkt. Im Interview kann er nicht kaschieren, dass er bei vielen Fragen sachlich einfach nichts zu bieten hat. SN: Sehen Sie bei den anderen Parteien ähnliche Phänomene? SPÖ-Chef Andreas Babler agiert wie Wlazny, allerdings mit Inhalten. Er tritt mit offenem weißen Hemd auf, so als würde es um das Bürgermeisteramt in Traiskirchen und nicht das Kanzleramt gehen. Er spricht auch Dialekt, was früher undenkbar gewesen wäre. Am stärksten ist Babler, wenn er vor Arbeitermilieus spricht. Da tritt er wie ein österreichischer Che Guevara auf und wirft beim Gang auf die Bühne schon mal das Sakko auf den Boden – eine starke Geste. Und er nutzt rhetorische Stilmittel wie die Anapher (das Wiederholen von Sätzen oder Satzteilen, Anm.) und Crescendo (im Ton immer lauter werden, Anm.). Diese anschwellende Rhetorik funktioniert auf Bühnen hervorragend. In Interview-Situationen ist Babler wie Wlazny deutlich schwächer. Im ORF-Sommergespräch hatte er die Hände oft auf dem Tisch zusammengelegt. Eine schwache Position. Zudem wirkte er sehr brav, auch gegenüber dem Interviewer. Man spricht von Metakommunikation, wenn der Interviewte Fragen kritisch hinterfragt oder Einwände erhebt. FPÖ-Chef Kickl macht das ständig, Babler aber kaum.
SN: FPÖ-Chef Herbert Kickl ist für aggressives Auftreten bekannt. Warum zeigt er sich auf den Plakaten neuerdings so freundlich?
Das ist tatsächlich ungewöhnlich und ich halte das für riskant. Kickl wirkt normal bissig und strahlt eine Grundaggressivität aus. Seine ausdrucksstarken Augen unterstreichen oft hochgezogene Augenbrauen. Mit dieser Mimik spricht man Warnungen aus. Kickl wirkt auf mich auch geschult und trainiert. Er inszeniert sich als Kämpfer gegen „das System“ und die sogenannten Einheitsparteien. Da wird pure Aversion vermittelt. Warum er auf den neuen Plakaten jetzt lächelt und freundlich schaut, ist mir auf Anhieb nicht erklärbar. Offenbar will er damit seine Bindung zur Wählerschaft stärken. Ob das funktioniert, ist aber fraglich, weil ihn seine Wählerschaft nicht schätzt, weil er freundlich ist, sondern weil er ein Wadlbeißer gegen das System ist. Damit durchbricht er eine Grundregel der Kommunikation, die da lautet: Wiederhole deine zentrale Botschaft immer und immer wieder, bis zum Erbrechen. Überdies zeigen Studien, dass Männer auf den Plakaten besser wirken, wenn sie ihr Sichtfeld nach links oder rechts richten. Kickl hingegen blickt die Menschen auf den Plakaten frontal an. Das wirkt normal nur, wenn es Frauen machen.